Eltern müssen ihren Kindern bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit Unterhalt leisten. Das gesetzliche Grundmodell geht davon aus, dass ein Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Betreuung erfüllt, während der andere Elternteil die materiellen Bedürfnisse des Kindes zu decken hat. Der Geldunterhalt für den Allgemeinbedarf des Kindes wird grundsätzlich mittels Prozentwertmethode als Anteil an der Unterhaltsbemessungsgrundlage (Nettoeinkommen des Verpflichteten) im altersabhängigen Ausmaß von 16‒22 % ermittelt. Zur Bezifferung des neben der elterlichen Betreuung bestehenden durchschnittlichen Unterhaltsbedarfs von Kindern einer bestimmten Altersstufe in Form eines Geldbetrages dienen die sogenannten Regelbedarfsätze. Diese beruhen auf einer Konsumerhebung aus dem Jahr 1964 (durchschnittliche Verbrauchsausgaben für ein in einem Arbeitnehmerhaushalt betreutes Kind). Die Beträge wurden bisher vom LGZ Wien jährlich mit dem Verbraucherpreisindex aufgewertet und veröffentlicht (gültig jeweils für den Zeitraum von 01. Juli bis 30. Juni).
Bedeutung für den Unterhalt haben die Regelbedarfsätze als Kontrollgröße und Berechnungshilfe. So erscheint beispielsweise ein Abgehen von den üblichen Bemessungsmethoden umso mehr gerechtfertigt, je mehr der konkret zugesprochene Unterhaltsbetrag nach oben oder unten vom Regelbedarfssatz abweicht und wird der Regelbedarfssatz auch bei der Anrechnung des Eigeneinkommens auf den Kindesunterhalt herangezogen. Besonderes Gewicht kommt den Regelbedarfsätzen aber im Zusammenhang mit dem sogenannten Unterhaltsstopp („Luxusgrenze“) zu. Der Unterhaltsstopp beschränkt als Obergrenze die Höhe der Unterhaltsleistungen beim Kindesunterhalt bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen. Damit soll eine pädagogisch schädliche Überalimentierung des Kindes verhindert werden. Die jahrzehntelange Praxis der Gerichte sieht die Luxusgrenze im 2-fachen (bei Kindern bis 10 Jahren) bzw 2,5-fachen (bei Kindern über 10 Jahren) des Regelbedarfsatzes.
In der Literatur wurde insbesondere im Zusammenhang mit der massiven Teuerung der letzten Jahre immer wieder kritisiert, dass die sich aktuell ergebenden Regelbedarfsätze für die heutigen Lebensumstände über keine ausreichende Aussagekraft mehr verfügen würden. Ende 2021 wurde nun (erstmals seit dem Jahr 1968) – wie bereits mehrfach gefordert – eine neue Kinderkostenanalyse durch das Sozialministerium veröffentlicht, die abbildet, um wie viel höher das Einkommen einer Familie sein müsste, um den gleichen Lebensstandard halten zu können, wie vor dem Hinzukommen der Kinder. Dabei zeigt sich, dass eine reine Valorisierung der Beträge aus dem Jahr 1964 tatsächlich nicht mehr den heutigen Gegebenheiten entspricht, weil sich seither die Höhe der Transferleistungen, va aber auch das Konsumverhalten, stark verändert haben.
Infolgedessen hat das LGZ Wien diese Kinderkostenanalyse zum Anlass genommen, um im März 2022, abweichend von einer bloßen Valorisierung, eine Empfehlung neuer Regelbedarfsätze per 01.01.2022 auszusprechen. Damit erhöht sich jener Geldbetrag, von dem ausgegangen wird, dass damit ein Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich allgemein und im Durchschnitt seinen neben der elterlichen Betreuung bestehenden Unterhaltsbedarf decken kann. Unter Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung zum Unterhaltsstopp bewirkt eine dementsprechende Anpassung an die neuen Regelbedarfsätze wiederum eine Erhöhung der Luxusgrenze ab 01.01.2022.
Für Kinder, deren Unterhaltsanspruch aufgrund des überdurchschnittlichen Einkommens des geldunterhaltspflichtigen Elternteiles mit der Luxusgrenze gedeckelt ist, bedeutet dies konkret folgende Änderung im Sinne einer Erhöhung ihres Unterhaltsanspruchs per 01.01.2022:
Da es sich bei der Veröffentlichung der neuen Regelbedarfsätze durch das LGZ Wien um eine reine Empfehlung handelt, die von der unabhängigen Gerichtsbarkeit nicht zwingend übernommen werden muss, bleibt abzuwarten, ob sich die Anpassung der Regelbedarfsätze auf den Sprengel des LGZ Wien beschränkt, oder auch in den Gerichtssprengeln außerhalb Wiens übernommen wird. Unterbleibt eine dementsprechende Übernahme würde dies jedoch zu massiver Rechtsunsicherheit und der Notwendigkeit der Ermittlung des jeweiligen Regelbedarfs im Einzelfall (beispielsweise anhand aktueller Immobilienpreise in der jeweiligen Region) führen, weshalb grundsätzlich davon auszugehen ist, dass – wie nach bisheriger Praxis – den Vorgaben des LGZ Wien auch von den übrigen österreichischen Gerichten gefolgt wird.