Der EuGH konkretisierte am 02.03.2023 – aufgrund der Klage eines ungarischen Lokführers gegen seine Arbeitgeberin – die Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88), welche EU-weit Mindeststandards vorgibt und traf eine weitreichende Entscheidung zum Verhältnis der nach jedem Arbeitstag gebührenden 11 Stunden tägliche Ruhezeit und pro Woche gebührenden 24 Stunden wöchentliche Ruhezeit .
Die für den Anlassfall maßgebliche Rechtslage Ungarns sieht – ähnlich wie in anderen Mitgliedsstaaten – wesentlich mehr als das Mindestmaß, nämlich 48 Stunden, wöchentliche Ruhezeit vor. Man könnte daher, wie die geklagte ungarische Arbeitgeberin, meinen, dass damit auch die tägliche Ruhezeit von mindestens 11 Stunden abgegolten ist.
Der EuGH sieht das allerdings anders. Beide Ansprüche sind autonom und jeweils für sich zu betrachten. Die tägliche Ruhezeit geht der wöchentlichen Ruhezeit voraus und steht „on top“ zur wöchentlichen Ruhezeit zu, dies unabhängig davon, ob der nächste Tag arbeitsfrei ist. Beide Zeiten sind zusammenzurechnen.
Für Ungarn bedeutet das konkret:
Wenn in Ungarn etwa ein Verkäufer im Handel samstags bis 18:00 Uhr arbeitet, beginnt ab 18:00 Uhr zunächst die tägliche Ruhezeit von 11 Stunden zu laufen. Anschließend, sonntags um 5:00 Uhr, ist – sofern er in dieser Woche noch keine entsprechende wöchentliche Ruhezeit eingehalten hat – noch die wöchentliche Ruhezeit von 48 Stunden abzuwarten. Er darf daher frühestens dienstags ab 5:00 Uhr wieder arbeiten.
Fraglich sind die Auswirkungen auf Österreich. In Österreich muss die sogenannte „Wochenendruhe“ sowohl das Mindestmaß von 36 Stunden erreichen als auch einen Teil des Samstags und grundsätzlich den ganzen Sonntag zu umfassen. Die tägliche Ruhezeit beträgt 11 Stunden. Bislang galten 36 arbeitsfreie Stunden am Wochenende als ausreichend.
Die österreichische Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie ist allerdings nicht mit jener Ungarns ident. Welche Auswirkungen die Rechtsprechung des EuGH für Österreich, insbesondere auf Branchen wie Handel und Gastronomie, haben wird und ob in Österreich künftig 47 arbeitsfreie Stunden am Wochenende eingehalten werden müssen, ist daher offen, tendenziell aber eher zu bejahen.
Klärung können nur der Gesetzgeber oder die Gerichte bringen.
Für Rückfragen stehen Dr. Wolfgang Graziani-Weiss und Mag. Dr. Höller-Prantner gerne zur Verfügung.